Zehn Fragen von Christian Muhr an Elvira Barriga
Christian Muhr: Wie ist dein Verhältnis zu Briefmarken? Hast du dich für Marken schon interessiert, bevor du zu diesem Wettbewerb eingeladen wurdest?
Elvira Barriga: Ich bin grundlegend keine Sammlernatur, aber halte Briefmarken für wunderbare Kleinode, inklusive einem sentimentalen Hauch von Nostalgie. Ich fand gelungen gestaltete Briefmarken immer schon faszinierend und erinnere mich leb- und bildhaft an einige wunderbare Kunstwerke aus Asien. Gleichzeitig wundere ich mich seit jeher darüber, dass zahlreiche Marken so uninspiriert in die Briefkästen flattern. Wie schade, und was für vergebene Möglichkeiten. Aber ich muss auch zugeben, dass es wahrlich eine Herausforderung ist, auf so kleinem Raum eine wirkungsvolle Geschichte zu erzählen.
CM: Dein Entwurf feiert auf typografische Weise die »Vielheit in der Einheit« als den zentralen Grund, Europa zu lieben. Jetzt repräsentierst du selbst als »Hispano-Alemannin« dieses Motto ja in gewisser Weise auch als Person. Wie sind deine persönlichen Erfahrungen mit dem Thema »Vielfalt« etwa im europäischen Alltag? Wie offen hast du in dieser Hinsicht z.B. Vorarlberg oder Österreich insgesamt erlebt?
EB: Ich habe vor allem als Kind aufgrund meiner gemischten Herkunft nicht nur positive Erlebnisse in Vorarlberg gesammelt. Die politische Relevanz von rechtspolitischen Parteien in Österreich spricht ja auch Bände für sich, was dieses Thema anbelangt. Das Positive überwiegt dennoch in der Bilanz. Vor allem in späteren Jahren habe ich diesbezüglich eher interessierte Aufmerksamkeit erfahren.
In meinem Entwurf beziehe ich mich vor allem auf die faszinierende Vielfalt, die ich auf meinen Reisen durch Europa
erlebt habe. In Europa kann ich nach nur ein bis zwei Flugstunden in eine völlig konträre Erlebniswelt eintauchen. Das ist doch unglaublich faszinierend. Wenn ich dazu beispielsweise den Mittleren Westen Nordamerikas vergleiche – ich schreibe diese Zeilen gerade in einem Hotelzimmer in Iowa – dann ändern zwei Stunden im Flieger herzlich wenig, was den kulturellen Kontext betrifft.
CM: Du hast lange in Berlin gelebt und damit in einer europäischen Städte, die am meisten Vielfalt bietet. Trotzdem hast du dich in New York beworben und bist dann bei Bruce Mau Design in Toronto gelandet, wobei dieses Büro ja auch eine Filiale in New York besitzt. Ist dieser persönliche Schritt bei aller Liebe zu Europa vielleicht doch auch Ausdruck einer gewissen »Europaskepsis«? Sind die USA oder auch Kanada nicht vielleicht weiterhin Länder der »unbegrenzteren Möglichkeiten« bzw. die vergleichsweise »vielfältigeren« Kulturen?
EB: Die Beweggründe mich in New York zu bewerben, waren ausschließlich in meiner Neugierde und in der Sehnsucht nach neuen Herausforderungen begründet. Ich wollte einfach meinen Horizont erweitern und erfahren, wie es sich in einem völlig anderen kulturellen Kontext lebt und arbeitet. In gewisser Weise ist das ja auch ein »Selbsterfahrungstrip«, wenn alle gewohnten Bedingungen wegfallen und man sich nur auf den eigenen Kern beziehen kann. Grundlegende persönliche Eigenschaften und Werte kommen da sehr deutlich und klar an die Oberfläche.
New York und Toronto sind klassische Einwandererstädte und die ethnische Mannigfaltigkeit der Bewohner ist entsprechend groß. Im Vergleich zu Europa ist die Vielfalt quasi auf kleinerem Raum höher konzentriert. Toronto gilt offiziell als die Stadt mit den meisten ethnischen Gruppen und das Stadtbild ist stark davon geprägt. Man kann beispielsweise in einem einzigen Spaziergang Chinatown, Koreatown, Little Italy und Little Portugal durchqueren.
CM: Bruce Mau Design arbeitet weltweit. Wie wichtig ist Europa für ein so international aufgestelltes Studio, das in Nordamerika sitzt? Sowohl als Markt, aber auch als Inspirationsquelle bzw. als Talente-Pool?
EB: Europa hat in jeglicher Hinsicht einen großen Stellenwert für unser Studio. Wir sind international aufgestellt, in Bezug auf unsere Kunden, aber auch was die Komposition unseres Teams anbelangt. Wir haben großartige Designer aus Irland, Holland, Schweden, Deutschland etc. Wir sehen da keine Grenzen. Als Gestalter muss man schon mutwillig ignorant sein, um Europa ignorieren zu können. Zuviel an Design- und Kunstgeschichte wurde und wird dort geschrieben.
CM: Bruce Mau Design wurde international u. a. durch die Zusammenarbeit mit dem Architekten Rem Koolhaas berühmt. Koolhaas wurde ja 2004 beauftragt, eine Art Logo bzw. eine visuelle Identität für Europa zu entwerfen. Was hältst du von seiner Version, Einheit und Vielfalt darzustellen?
EB: Der farbige Barcode von Rem Koohlhaas und AMO ist wie nicht anders zu erwarten klug, systematisch erweiterbar und in der Gestaltung auf den Punkt gebracht, kurzum – überzeugend. Als der Entwurf erstmals 2001 veröffentlicht wurde, hat er in seiner Abstraktion und Klarheit eine neue Messlatte für die Visualisierung von europäischen Themen gesetzt. Ich habe in der Zwischenzeit eine Menge Entwürfe in diesem Kontext gesehen, die eindeutig davon inspiriert sind. Ich denke, das kann man selbst bei einigen Briefmarkenentwürfen innerhalb des Wettbewerbs erkennen.
CM: Du hast selbst viel Juryerfahrung. Wenn du dir die anderen 19 Entwürfe ansiehst, welche sind in deinen Augen die interessantesten, gelungensten, überraschendsten?
EB: Meine höchstgehandelten Anwärter auf den Gewinn des Wettbewerbs waren die Entwürfe von Gassner Redolfi und Bureau Weiss. Mein persönlicher Lieblingsentwurf ist »Innere Angelegenheiten« von 3007 aus Wien. Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob ich den Entwurf und seine Herleitung ganz verstehe, aber ich finde ihn wunderbar. Sowohl ästhetisch gesehen, als auch was die leicht skurrile und humorvolle Interpretation der Thematik betrifft.
CM: Bruce Mau Design entwickelt ja nicht nur visuelle Identitäten für Unternehmen oder Institutionen, sondern auch für Regionen bzw. ganze Länder. Ein Projekt aus 2012 lautet beispielsweise »Rebranding Canada for the 21st Century«. Kannst du vielleicht ein paar Leitmotive dieses Rebrandings nennen und wie würde BMD einen solchen Auftrag für Europa angehen?
EB: Der US Radiosender »Studio 360« nimmt in der Serie »Redesigns« verschiedene antiquierte Themen und Gestaltungsauffassungen unter die Lupe (z.B. »Redesigning Christmas«, Redesigning Valentine‘s Day, Gay Pride Flag Design Challenge« etc.) und versucht neue, zeitgenössische Konzepte aufzuzeigen. BMD war aufgefordert den öffentlichen Auftritt von Kanada zu überarbeiten – frei von traditionellen Klischees wie Bibern, Eishockey, Schnee und schrecklich viel davon. BMD hat den Spieß umgedreht. Frei nach dem Motto »Kanada braucht kein Redesign, sondern Amerika muss aufgeklärt werden« ist die Kampagne »Know Canada« entstanden. Sie stellt die Errungenschaften und das Potenzial des Landes in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: Kultur, Wissenschaft, Kreativität, natürliche Ressourcen und vor allem die Einwohner Kanadas, die etwas bewirken.
Recherche spielt eine essenzielle Rolle in unserer Studiopraxis. Wir haben diesbezüglich eine sehr ausgereifte »Toolbox«, die wir je nach Projekt anpassen. Für »Rebranding Europe« würden wir prinzipiell zuerst die Interessensgruppen ausmachen und dann auf der Grundlage von Desk-Research und Interviews mögliche Szenarien mit den Kunden / Partnern in Workshops durchspielen. Diese Schritte sind notwendig, ein Verständnis für die Problemstellung und den Kontext zu entwickeln und ermöglicht den Interessensgruppen / Kunden aktiv an der Entwicklung teilzunehmen und rechtzeitig eventuelle Kurskorrekturen vorzunehmen. Anschließend folgt die visuelle Übertragung in entsprechende Gestaltungsmittel.
CM: Eine Briefmarke zu gestalten, gehört zu den eher ungewöhnlichen Aufgaben für Grafikdesigner. Nachdem du nun tatsächlich eine Marke gestaltet hast, wüsste ich gerne, ob es im Bereich des »Public Design« noch etwas gibt, das du gerne gestalten oder redesignen würdest? Gibt es außerdem Ideen, Initiativen, Themen, Anliegen, denen du mit deinen Kompetenzen gerne zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen würdest? Oder gäbe es vielleicht sogar einen Auftrag aus Österreich, über den du dich besonders freuen würdest?
EB: Ich bin so vielseitig neugierig, dass ich gar nicht weiß, wo ich meine Wunschliste beginnen oder beenden soll. Gestaltungsfragen und -aufgaben im urbanen Raum stehen auf jeden Fall ganz oben auf der Liste. Modelle zur Belebung und Aktivierung von öffentlichem Lebensraum. Konzepte, welche die Lebensqualität von Menschen ganz direkt verbessern können. Generell finde ich Projekte besonders spannend, die eine Wechselwirkung von verschiedenen Disziplinen erfordern und Spezialisten aus unterschiedlichen Fachgebieten dazu bewegt, gemeinsam Ideen und Lösungsansätze zu entwickeln.
Über eine Gestaltungsherausforderung aus Österreich würde ich mich prinzipiell sehr freuen. Das wäre die perfekte Möglichkeit, um mal wieder Heimatluft zu schnuppern.
CM: Du unterrichtest ja auch gerne und leitest heute größ-ere Teams mit jüngeren Designern. Was versuchst du den Studenten im Wesentlichen mitzugeben?
EB: Studenten und junge Designer haben oftmals die Tendenz, ihre Gestaltung an aktuellen Trends oder bewunderten Vorbildern auszurichten. Inspiriert adaptieren und weiterentwickeln ist eine Sache, mäßig gelungen kopieren, eine andere. Ich versuche junge Designer dazu zu bewegen, ihre eigene visuelle Sprache zu entwickeln und ihr Repertoire kontinuierlich zu erweitern, sodass sie Gestaltungsaufgaben authentisch und spezifisch beantworten können. Meine Aufgabe ist es, sie bei diesem Prozess zu leiten und zu unterstützen und das Vertrauen in ihr individuelles Potenzial zu stärken.
CM: Du bist seit mehr als zehn Jahren an exponierten Stellen des internationalen Designbetriebs tätig. Was hat sich im Rückblick in diesem Feld am meisten geändert? Worin bestehen die kommenden Herausforderungen und in welche Richtung geht die Disziplin?
EB: Digitale und soziale Medien haben unsere Arbeitswelt grundlegend auf den Kopf gestellt und mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten war und ist Herausforderung und Chance. Dementsprechend gibt es Bedarf sowohl für Generalisten, die holistische Konzepte entwickeln können, als auch Experten, die spezifische Aufgaben umsetzen und realisieren können.
Gleichzeitig ist der Designberuf zum Trendberuf geworden und dementsprechend groß ist die Konkurrenz, um die spannendsten Kunden und Gestaltungsaufgaben. Gerade in Städten wie Berlin, London oder New York gibt es eine enorme Dichte. In Berlin habe ich in diesem Zusammenhang erlebt, wie durchaus hoch qualifizierte Designer zu bedrohlichen Dumpingpreise ihre Arbeit angeboten haben. Den eigenen Markt zu ruinieren, ist keine nachhaltig kluge Entscheidung. Speaking of which – das Thema Nachhaltigkeit wird auch in unserer Disziplin immer wichtiger. Und das ist auch gut so.